Wohnungsnot: „Wir werden bald Obdachlosigkeit verwalten müssen“

Der Kreis Steinfurt und seine Kommunen geraten wegen des Zustroms von Flüchtlingen immer mehr an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Darin sind sich die SGK und Kreisdirektor Dr. Martin Sommer einig. Das wurde jetzt in einer Diskussionsveranstaltung zum Thema Flüchtlinge deutlich. Es bestehe die konkrete Gefahr, dass sich „sozialer Sprengstoff“ entwickelt.

Im Januar waren es kreisweit 1500 Asylanträge. Jetzt, Anfang Dezember, schon 5500. Bis zum Jahreswechsel werden wohl noch rund 1000 Anträge hinzukommen. Davon geht Kreisdirektor Dr. Martin Sommer aus. „In diesen Zahlen sind nicht einmal die Verfahren eingerechnet, die die Stadt Rheine in eigener Zuständigkeit aufnimmt“, sagte Sommer in der Veranstaltung, zu der die Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik (SGK) nach Saerbeck eingeladen hatte.

Nur 15 Prozent kehren tatsächlich zurück

Mehr als 60 Prozent aller Anträge auf Asyl würden abgelehnt. Das zeige die Erfahrung, sagte Sommer. Tatsächlich verließen aber nur 15 Prozent der abgelehnten Asylbewerber das Land. „Wir haben in Deutschland ein gewaltiges Vollzugsdefizit. Die weitaus meisten, die gehen müssten, werden bleiben“, so Sommer. Sollten in den nächsten 5 Jahren ebenso viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen wie 2015 könnte sich die Gesamtzahl bei unterstelltem Familiennachzug schnell auf 15 Mio. Menschen summieren. „Die Unterbringung und Integration ist bereits jetzt eine gewaltige Aufgabe. Wenn nicht gegengesteuert wird, ist es nicht zu schaffen. Wir stellen uns den Herausforderungen, aber wir dürfen nicht überfordert werden.“

„Die Motivation der Ehren- und Hauptamtlichen in der Flüchtlingsarbeit ist hoch. Aber wie lange hält sie noch an bei dieser wachsenden Belastung? Und was können wir tun, um ihre Arbeit zu unterstützen?“, fragte Andreas Sievert, SGK-Kreis-Vorsitzender. Seine Frage richtete sich auch an Lilli Schmidt, die Integrationsfachkraft des Kreises Steinfurt. „Seit Mai arbeite ich in der Koordinierungsstelle für Integration, doch es kommt mir vor, als wäre das schon viel, viel länger“, sagte Schmidt angesichts des gewaltigen Aufgabenbereichs.

Integrationskonzept wird erarbeitet

Sie sei seit Monaten unterwegs, um vorhandene Hilfestrukturen zu erfassen, ein Netzwerk aufzubauen, Kooperationen anzustoßen oder „bürokratisch sehr komplexe“ Förderanträge an das Land auf den Weg zu bringen. Es gebe bereits zahlreiche Kontakte zu Akteuren, die im Aufbau des Netzwerkes Integration etabliert werden sollen. Vor allem die Unterbringung der zugewiesenen Flüchtlinge stelle für die Städte und Gemeinden derzeit eine große Belastung dar, sagte Schmidt. Sie zeigte sich zuversichtlich, dass das von der Politik geforderte Integrationskonzept in 2016 auf den Weg gebracht wird. Man arbeite derzeit bereits an der Entwicklung, jedoch wies sie darauf hin, dass hierfür eine Zeitspanne von ca. sechs bis acht Monaten anzusetzen sei.

SPD-Politiker betonten allerdings auch in dieser Diskussion, dass angesichts der Herkules-Aufgabe ein Kommunales Integrationszentrum (KIZ) mit 6,5 vom Land bezahlten Stellen auch im Kreis Steinfurt unverzichtbar sei.

Lage ist überall angespannt

„Wir müssten mehr Kräfte für die eigentliche Integration der Menschen, die eine Bleibeperspektive haben, aufbringen. Aber unsere Mitarbeiter sind praktisch vollständig durch den Betrieb von Notunterkünften gebunden“, sagte auch Kreisdirektor Dr. Sommer. Es gebe keine Kommune im Kreis, in der die Lage bei der Unterbringung entspannt sei.

Das bestätigte der Bürgermeister von Tecklenburg, Stefan Streit, in einer flammenden Rede. Er hielt sie quasi stellvertretend für seine Amtskollegen im Kreis. 45 Asylbewerber in Tecklenburg im Jahr 2014, 170 bisher in diesem Jahr Anfang Dezember, im Februar 2016 werden es 300 und mehr sein, bei einer wöchentlichen Zuweisung von 12 – 15 Personen: „Das bedeutet, dass wir bald Obdachlosigkeit verwalten müssen, wenn dieser Trend 2016/2017 so anhält“, sagte Streit.

Turnhallen müssten vieler Orts schon bald mit Menschen unterschiedlichster ethnischer Herkunft belegt werden, der Schulsport werde ausfallen. „Wir können gar nicht so schnell Wohnungen bauen, wie es nötig wäre. Das alles birgt erheblichen sozialen Sprengstoff“, betonte Streit. Er forderte mehr Hilfen von Bund und Land: „Berlin und Düsseldorf hinken der tatsächlichen Entwicklung meilenweit hinterher.“

Auch Kreisdirektor Sommer schlug in diese Kerbe: „Der Bund muss ausreichende Mittel für die Kommunen aufbringen. Das Land muss diese Mittel zu 100 % an die Kommunen weiterleiten. Es darf nicht dazu kommen, dass in der öffentlichen Diskussion Kosten für Flüchtlinge gegen einen Anstieg bei den Grundsteuern ausgespielt werden.“

Auf dem Foto: Integrationsfachkraft Lilli Schmidt, Kreisdirektor Dr. Martin Sommer