Mit heißer Nadel gestrickt

Seit 2014 können Eltern von Erst- und Fünftklässlern mit individuellem Förderbedarf in Nordrhein-Westfalen wählen, ob sie ihr Kind an einer Förderschule oder an einer allgemeinen Schule anmelden. Wie aber steht es nun, zwei Jahre nach Einführung, um die Inklusion im Kreis Steinfurt? Diese Frage stellte die SPD jetzt einer Expertenrunde mit Schulpolitikern, Lehrern und Eltern bei einer Veranstaltung in Rheine. Die Antwort: Offenkundig nicht so wie erhofft, wie sich in der mit fast 150 Teilnehmern gut besuchten Diskussion zeigte.

Rund die Hälfte der Schulen im Kreis Steinfurt sind Schulen des gemeinsamen Lernens. Jedoch sind nicht alle Schulformen gleich betroffen. Bislang unterrichteten die Hauptschulen einen überdurchschnittlichen Anteil von Förderschülern. „Sie tragen die Hauptlast“, hieß es. Nachdem diese Schulform nach und nach aufgelöst wird, soll der für sie geltende „Sozialindex“, der ihnen zusätzliche Lehrerstellen ermöglicht, nun für die anderen Schulformen übernommen werden.

Zu wenig Sonderpädagogen
Bei der schulischen Inklusion geht es um Bildungsgerechtigkeit. Auch Kinder mit Beeinträchtigungen sollen alle Chancen auf größtmögliche Bildung erhalten. Ziel ist es, sie am Unterricht der Regelschulen teilnehmen zu lassen und zusätzlich individuell durch Sonderpädagogen zu fördern. Doch bereits hier hakt es, wie bei der Veranstaltung in Rheine deutlich wurde.
„Das Land hat 3200 Lehrerstellen für die Inklusion geschaffen“, sagte die schulpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Renate Hendricks. Viele Wortmeldungen von Lehrern und Eltern machten jedoch schnell klar: Trotz dieser neuen Stellen fehlen sonderpädagogische Fachkräfte an fast allen Schulen.
Für deren Ausbildung an den Hochschulen habe die Landesregierung, so Hendricks, zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt. „Zu spät“, kritisierte ein Kommunalpolitiker: „Notwendige Reformen sollten zunächst vorbereitet und erst danach eingeführt werden!“ Jetzt würden die Probleme auf dem Rücken der Lehrer und Kinder ausgetragen, bis das Notwendige getan sei. Kurzfristig sei der Mangel an Sonderpädagogen jedenfalls nicht in den Griff zu bekommen, lautete die Kritik.

Ungeeignetes Unterrichtsmaterial
Auch Margret Schepers, Sonderpädagogin an der Gesamtschule in Rheine, bemängelte die Umsetzung der Inklusion: „Die sonderpädagogische Qualität unserer Arbeit muss unbedingt erhalten bleiben. Inklusion bedeutet gemeinsames Lernen mit geeignetem Material.“ Das jedoch sei nicht vorhanden. „Neben ausreichender individueller Betreuung durch Fachkräfte benötigen wir deshalb Unterrichtsmaterial, mit dem sowohl Förder- als auch Regelschüler arbeiten können“, sagte auch Katja Vergers, Lehrerin an der Schule am Bagno. Sie betonte weiter: „Außerdem fehlt Zeit für Teambesprechungen von Lehrern, Sonderpädagogen und Integrationshelfern.“
Neben der ausreichenden Ausstattung mit Sonderpädagogen sind häufig wechselnde Fachlehrer und lange Unterrichtszeiten der weiterführenden Schulen weitere Probleme des gemeinsamen Lernens, wie aus den Diskussionsbeiträgen von Lehrern verschiedener Schulen im Kreis Steinfurt hervorging.

Schlechte Ausstattung
In der Diskussionsrunde wiesen viele Eltern zudem auf die häufig mangelhafte räumliche Situation in den Schulen hin. Oft fehle es an Barrierefreiheit und an Differenzierungsräumen für die individuelle Betreuung. Hier seien die Kommunen in der Pflicht, sagte Hendricks. Sie müssten als Schulträger die baulichen Voraussetzungen für die Inklusion an Schwerpunkt schulen des gemeinsamen Lernens herstellen. Das Land habe für Baumaßnahmen 25 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, dieses Geld würde jedoch bislang nicht abgerufen.

Für Inge Graf-Mannebach, Schulamtsdirektorin für Inklusion im Kreis Steinfurt, ist die Inklusion eine Aufgabe für die ganze Schule. Sie müsse zur ihrer Herzensangelegenheit werden, sagte sie. Sie appellierte an alle Eltern, sich an die Politik oder an die Schulaufsicht zu wenden, wenn Probleme aufträten. Sie würde den Problemen jedes Einzelfalls nachgehen, sicherte sie zu.

„Die Diskussion hat gezeigt, dass es bei der Inklusion noch viele Umsetzungsprobleme gibt. Wir haben viele engagierte Lehrer, die mit ihren Problemen nicht allein gelassen werden dürfen“, fasste die schulpolitische Sprecherin der SPD-Kreistagsfraktion, Anne Rottmann, ihre Eindrücke zusammen. „Es muss noch viel verbessert werden. Doch das Ziel, gemeinsames Lernen erfolgreich umzusetzen, bleibt für uns richtig“, betonte Rottmann, dass an dem Ziel schulischer Inklusion nicht gerüttelt werde.

Fotos:
Das Expertenpodium
(von links Katja Vergers, Margret Schepers, Inge Graf Mannebach und Renate Hendricks)

Gut besuchte Diskussion im TaT Rheine