SPD kritisiert „verlorene Zeit“ bei Integration von Flüchtlingen

Ein kleiner, schon ein wenig abgegriffener Deutsch-Duden ist Ibrahims größter Schatz. Irgendjemand hat ihm das Buch geschenkt, als er vor acht Monaten in Deutschland ankam. Seither blättert der 23-Jährige in dem Duden, schaut sich die Wörter an, spricht sie nach und merkt sie sich, so gut er kann. Er würde so gerne schnell noch viel mehr lernen – wenn man ihn denn ließe.

Eigentlich sollte der junge Syrer längst in einem Integrationskurs des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sitzen: Deutsch lernen mit richtigem Lehrer, mit richtigen Lehrbüchern. Der Antrag ist gestellt, die Berechtigung liegt vor. Doch bis das BAMF die Zulassung zum Kurs dann auch erteilt und Ibrahim an einem Kurs teilnehmen darf, dauert es. Manchmal sogar Monate. Ibrahim muss warten – wie derzeit hunderte anderer Flüchtlinge im Kreis Steinfurt auch.

Für die SPD im Kreis Steinfurt ist diese „Warterei wegen Bürokratie“ ein regelrechtes Unding: „So geht wertvolle Zeit bei der Integration verloren“, sagt Annette Wenzel, Sozialpolitikerin der SPD-Kreistagsfraktion. Sie spricht von einem enormen „bürokratischen Flaschenhals“, durch den die Zulassungen für die Teilnahme an den Integrationskursen „nur tröpfchenweise“ kommen.

Zu viele Behördenschritte
„Von aktuell 1000 Flüchtlingen, die derzeit im Kreis Steinfurt Anspruch auf einen Integrationskurs haben, ist etwa die Hälfte noch nicht versorgt“, berichtet Wenzel von Informationen aus den zuständigen Gremien des Kreises. Es fehle nach Auskunft des Kreises an Räumen und Personal für die Durchführung der Kurse. „Diese Probleme ließen sich aber lösen“, meint Wenzel. Entscheidendes Hindernis seien hingegen die strukturelle Gründe: „Es gibt einfach zu viele Behördenschritte, bis endlich eine Zulassung erteilt wird.“

Die SPD-Fraktion will das nicht länger hinnehmen und der Sache auf den Grund gehen. Aus diesem Grund besuchten die Politiker unter Leitung von Fraktionschefin Elisabeth Veldhues und im Beisein der SPD-Bundestagsabgeordneten Ingrid Arndt-Brauer jetzt das Bildungswerk Ibbenbüren. Der gemeinnützige Verein, vergleichbar mit den Volkshochschulen, führt verschiedene Sprach- und Integrationskurse für Migranten durch. Auch hier beklagt man das Übermaß an Bürokratie.

Doppelstrukturen
Anja Greskamp, Leiterin des Bildungswerkes, war Anfang des Jahres regelrecht verzweifelt. „Wir hatten 160 Menschen in der Warteschleife für Alphabetisierungs- und Integrationskurse, aber die Zulassungen durch das Bundesamt kamen nicht.“ Es seien zu viele Doppelstrukturen da: Das Jobcenter, die Ausländerbehörde, das BAMF mit Zentral- und Regionalbehörden – alle seien irgendwie beteiligt, irgendwer müsse immer noch irgendwie Stellung nehmen. „Mal kriegen wir Post aus Nürnberg, mal aus Würzburg, mal aus Bielefeld. Die Wege sind einfach zu lang“, kritisiert sie. Erst jetzt, Mitte des Jahres, baue sich der Antragsstau langsam ab.

Das ewige Warten auf die BAMF-Bescheide habe zwischenzeitlich zu erheblichen Problemen geführt, berichtet Greskamp. „Wir haben sogar kurz darüber nachgedacht, Dozenten zu entlassen, weil wir trotz der großen Schar an Berechtigten keine Zulassungen für die Kurse bekommen haben.“ Dies habe man aber ganz bewusst nicht getan. „Wir wissen ja, dass wir die Lehrkräfte dringend benötigen.“ Man sei daher bei den Kursen durchschnittlich drei Monate finanziell in Vorleistung getreten, um Personal und Sachkosten zu bestreiten. „Das kann einen privaten Träger von Integrationskursen schon in erhebliche Schwierigkeiten bringen“, so Greskamp.

SPD Frakionschefin Elisabeth Veldhues versprach, sich dafür einzusetzen, dass die Ausschreibung von Integrations- und Sprachkursen regional erfolgt. Nur dann seien eine enge Vernetzung der handelnden Akteure und damit flexible, ortsnahe Angebote möglich.

Einigkeit zwischen den Vertretern des Bildungswerkes und den SPD-Politikern bestand auch in zwei weiteren Punkten: So müssten zum einen die Zusatzqualifizierungen für Sprach-Lehrkräfte ausgebaut werden, weil der Personalmarkt so gut wie leer gefegt sei. Die SPD-Politiker erhielten hier den Auftrag, die tatsächlichen Bedarfe im Kreis ermitteln zu lassen.

Gemeinsam kritisiert wurde außerdem, dass die Teilnehmer von Sprach- und Integrationskursen nicht automatisch am darauffolgenden Aufbaukurs teilnehmen können. Dies muss bisher immer wieder einzeln neu beantragt werden. Elisabeth Veldhues: „Das führt zu unnötigen Wartezeiten und lässt die Betroffenen verzweifeln.“ Sie forderte: „Kein Abschluss ohne Anschluss.“

Die SPD will das Thema nach dem Besuch in Ibbenbüren nicht mehr von der Tagesordnung lassen. „Schon bei den Asylverfahren wird durch überbordende Bürokratie viel zu viel Zeit verloren. Jetzt wird auch noch bei den Integrationskursen auf die Bremse getreten. Das darf nicht sein, im Sinne der Menschen, aber auch wegen des Geldes: Der Zeitverlust kostet den Staat Millionen Euro“, so SPD-Geschäftsführerin Veronika Nolte.

Foto: Die SPD-Kreistagsfraktion beim Bildungswerk in Ibbenbüren: Unter der Leitung von Elisabeth Veldhues (2.v.l., Vorsitzende der SPD-Kreistagsfraktion) nahm auch die Bundestagsabgeordnete Ingrid Arndt-Brauer an dem Gespräch teil. Das Bildungswerk stellten Lisa Teichmann (Integrationskurse, Foto links außen) und Geschäftsführerin Anja Greskamp (Foto rechts außen) teil. Auf dem Foto außerdem u.a. Hermann Hafer (Fraktionsvorsitzender SPD Ibbenbüren, 3. v.r.) und Wilhelm D’Laclaverie (Vorstandsmitglied des Bildungswerkes, 5. v.l.).

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ZUSATZINFORMATION

Bedauern über das Aus für Frauenkurse
Kindererziehung, Gesundheit, Ernährung: Mit diesen Themen hat das Bildungswerk Ibbenbüren innerhalb von vier Jahren 180 Frauen mit Migrationshintergrund für die Teilnahme an entsprechenden Kursen begeistern können. Maximal 100 Stunden in fünf Modulen wurden von der den Frauenkursen: dieses Angebot wurde nicht vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) finanziell gefördert. Sehr zum Bedauern von Bildungswerk-Leiterin Anja Greskamp ist diese „Kann-Leistung“ des Bundesamtes nun weggefallen. Greskamp und die SPD sprachen sich dafür aus, dass diese Angebote wieder aufgelegt werden und die „Kann- in eine Mussleistung“ umgewandelt wird.

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