Das „rote Herz“ steht vorm Infarkt: SPD will Vertrauen zurückgewinnen

Die SPD will verlorenes Vertrauen der Wähler zurückgewinnen. Sie geht dafür hart und selbstkritisch mit sich ins Gericht. Das wurde jetzt in einer Diskussionsveranstaltung der Kreis-SPD deutlich. „Wohin geht die SPD?“, lautete die Frage. Die Antwort an diesem Abend im Tat-Zentrum in Rheine war eindeutig: Mehr Willy Brandt statt Gerhard Schröder, lieber Rot-Rot-Grün als noch mal Große Koalition.

Das war die klare Botschaft der Gastrednerin dieser Veranstaltung, der SPD-Bundestagsabgeordneten Hilde Mattheis – und für diese Botschaft erhielt sie immer wieder Beifall von den rund 80 Besuchern im Tat-Zentrum. Darunter waren auch viele, die zwar kein SPD-Parteibuch, aber doch ein „rotes Herz“ haben. Dieses Herz tut ihnen offenkundig schon seit Jahren weh, und, so war in der Diskussion zu spüren: In manchen Fällen steht es kurz vorm Infarkt.

Hilde Mattheis, die Bundespolitikerin aus Baden-Württemberg, ist auch Vorsitzende des SPD-Forums „Demokratische Linke 21“. Die Frau vom „linken Parteiflügel“ erfüllte die Erwartungen, die der Vorsitzende der SPD im Kreis Steinfurt, der Bundestagsabgeordnete Jürgen Coße, an die Veranstaltung stellte: „Wir wollen nicht nur Wohlfühl-Themen diskutieren, sondern uns offen, ungeschminkt und kontrovers überprüfen.“ Die SPD-Politik sei ja keineswegs immer nur schlecht gewesen, sondern in vielen Punkten richtig und gut. Aber es gebe eben doch einiges zu hinterfragen.

Identität verloren
Das, so Mattheis, zeigten auch die Wahlergebnisse. „12,7 Prozent bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg, nur noch viertstärkste Partei“, sagte sie. Die AfD habe auch deshalb viele SPD-Wähler für sich gewinnen können, „weil die Menschen der SPD nicht mehr glauben. Sie sagen, dass wir viele Versprechen gebrochen habe.“ Gerade Beschlüsse innerhalb der Großen Koalition hätten die Identität der SPD abgeschliffen. „Wir brauchen deshalb wieder ein unverwechselbares Profil“, forderte Mattheis.

Dieses Profil müsse auf den Kern der Partei konzentriert werden: Soziale Gerechtigkeit, Solidarität und Verteilung sind dabei für Mattheis entscheidend. Eine „armutsfeste Rente“, eine Bürgerversicherung, bei der auch die Reichen zur Kasse gebeten werden. Auch die Vermögenssteuer gehört für sie klipp und klar dazu: „Es darf nicht sein, dass Vermögende uns das Geld für den Bau von Straßen, Schulen oder Kliniken vorenthalten.“

Solche Gerechtigkeitsthemen dürften keine Kosmetik sein. Die SPD müsse stattdessen klare Projekte daraus entwickeln. „Wirtschaft muss den Menschen dienen, nicht umgekehrt. Wir müssen uns wieder mehr auf die kleinen und mittleren Einkommensbezieher besinnen“, sagte Mattheis.

Mattheis: Ich schäme mich
Auch zur aktuellen Flüchtlingspolitik bezog sie Position: „Ich schäme mich, dass wir uns mit sechs Milliarden Euro an Erdogan freigekauft haben und die Menschen als Verhandlungsmasse betrachtet werden.“ Sie forderte eine Rückbesinnung auf die Friedens- und Menschenrechtspolitik von Willy Brandt: „Wir als SPD müssen klar sagen: Wer Schutz verdient und ihn bei uns sucht, muss ihn auch bekommen!“

In der Diskussion schütteten zahlreiche Redner ihr Herz auch über das sozialdemokratische Spitzenpersonal aus. Hilde Mattheis betonte allerdings, es gehe ihr nicht um Personen, sondern um Inhalte. „Wir müssen anders als nach der letzten Bundeswahl Rot-Rot-Grün konkret anpacken. Noch mal eine große Koalition darf nicht sein. Es geht nämlich auch noch tiefer als 12,7 Prozent.“

Der starke Beifall unterstrich, dass Mattheis damit das sozialdemokratische Herz gestreichelt hat. Infarkt abgewendet – zumindest an diesem Abend.

Zu den Fotos:
1) Auf dem Podium im Tat-Zentrum diskutierten Hilde Mattheis sowie (von links) Stefan Streit (stellvertretender SPD-Kreisvorsitzender), Jürgen Coße (Kreisvorsitzender) und Detlef Weßling (SPD Rheine) mit den Besuchern darüber, wohin der Weg der SPD führen soll.
2) Aufmerksame Zuhörer über die „Zukunftsdebatte“ der SPD im Tat-Zentrum Rheine.
3) Hilde Mattheis, Bundestagsabgeordnete vom „linken Flügel“ der SPD.