Klartext von der Waterkant: Stegner wärmt Seele der Basis

Als die leckere Suppe gegessen war, folgte eine „Hauptspeise“, die nur aus Worten und Willen bestand – die aber das sozialdemokratische Herz wärmte und sättigte: „Du hast mir wirklich aus der Seele gesprochen“, sagte ein SPD-Mitglied. Ein schöneres Lob hätte Ralf Stegner, der stellvertretende Bundesvorsitzende, wohl kaum erhalten können für seine Rede auf dem Unterbezirks-Parteitag in Saerbeck.

Gastgeber Jürgen Coße, der Vorsitzende der Kreis-SPD, hatte Stegner eingeladen. Der Mann von der schleswig-holsteinischen Waterkant, als scharfzüngiger Klartext-Redner und häufiger Talkshow-Gast eines der bekanntesten SPD-Gesichter in Deutschland, lockte die Mitglieder in großer Zahl an. Kein Stuhl, kein Tisch blieb unbesetzt am Mittwochabend im weihnachtlich geschmückten großen Saal des Gasthauses Ruhmöller.

Lob für die „Demokratie-Arbeiter“
Es war bereits der zweite Besuch Stegners im Kreis Steinfurt. Coße und Stegner: Sie kennen sich gut, beide haben etliche Jahre im SPD-Parteikonvent – dem höchsten Gremium zwischen den Parteitagen – zusammengearbeitet. Auch deshalb war es für Stegner keine Frage, der Einladung zu folgen. „Ich bin gerne gekommen“, betonte er und bedankte sich erst einmal bei allen, die sich für die SPD engagieren. „Manche sagen Funktionäre zu euch. Ich finde das Wort ‚Demokratie-Arbeiter‘ viel besser“, sagte er und erhielt dafür den ersten Beifall, dem weiterer folgte.

Nicht die Partei der Zahnärzte und Makler
Denn in der Rede ging es, wie Stegner sagte, um die sozialdemokratische
Kernkompetenz: um Gerechtigkeit. „Wir sind nicht die Partei für Zahnärzte,
Makler oder Vermögende. Wir sind die Partei für die ganz normalen Menschen, die hart arbeiten müssen, um leben zu können. Wir sind die Partei, die sich um die Rentner kümmert, und die Partei für die Schwachen, die Hilfe brauchen.“ Nicht immer sei die SPD diesem Anspruch in der Vergangenheit gerecht geworden. „Da müssen wir wieder hin! Wir müssen Gerechtigkeit in diesem reichen Deutschland, in dem die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird, schaffen! Sonst gewinnen die, die auf nichts eine Antwort, aber für alles einen Sündenbock haben“, warnte er vor den Rechtspopulisten.

Partei der guten Arbeit
Stegner nannte viele Beispiele, wo die SPD für Gerechtigkeit kämpfen muss. „Wir müssen die Partei der guten Arbeit sein, sonst kümmert sich in
Deutschland doch niemand darum“, sagte er. „Wir brauchen gut bezahlte Jobs, die nicht befristet sind und die nicht krank machen!“ Die Wirtschaft müsse für den Menschen da sein, nicht umgekehrt. Frauen müssten endlich den gleichen Lohn erhalten wie Männer. Und auch zur Zukunft der Arbeit sprach er Klartext: „Bei allem Fortschritt, ich möchte später nicht von Robotern gepflegt werden.“

Was in Kopf und Händen steckt
Auch bei Bildung und Familie müsse die SPD die Partei der Gerechtigkeit sein. „Jeder muss die Chance haben, das aus sich zu machen, was in seinem Kopf und in seinen Händen steckt. Bildungschancen dürfen nicht von der Geldbörse der Eltern abhängen.“ Beitrags- und Gebührenfreiheit in Kindergärten oder Universitäten müssten das Ziel der SPD-Politik sein. Zu einer guten Familienpolitik gehöre außerdem bezahlbarer Wohnraum. „Wir müssen den genossenschaftlichen Gedanken beim Wohnungsbau wieder fördern.“

Stegner, der seine Rede mit Wortwitz, Wortgewalt und sichtbarer Willenskraft hielt, knöpfte sich auch Renten- und Gesundheitspolitik vor. „Die Altersarmut wird kommen, wenn wir nichts tun. Riester-Rente, das taugt doch gar nichts. Wir müssen viel mehr in die gesetzliche Rente investieren.“

Rente mit 70: Tödlicher Zynismus
Vorschläge, das Rentenniveau auf 70 Jahre anzuheben, bezeichnete er als „tödlichen Zynismus“. „Viele, die vom 15. Lebensjahr in harten Jobs arbeiten, werden ihre Rente dann gar nicht oder nur ganz kurz erleben!“ Das derzeitige Gesundheitssystem charakterisierte er als Haifischbecken. „Da gibt es nur Haie, die um die besten Brocken kämpfen, für die aber der Dienst am Patienten nur zweitrangig ist.“ Nötig sei eine Bürgerversicherung, mit gleichen Arbeitgeber und Arbeitnehmeranteilen, und in die alle einzahlen – ausnahmslos, auch künftige Beamte. „Das verstehe ich unter Gerechtigkeit.“

Zu zögerlich
Auch die großen Vermögen und Erbschaften ließ Stegner, den Jürgen Coße eingangs als das „linke Gewissen der SPD“ bezeichnet hatte, nicht ungeschoren davonkommen. „Wir sind da zu zögerlich, wir müssen die großen Millionenvermögen heranziehen. Er kann doch nicht wahr sein, dass das Einkommen einer Krankenschwester höher besteuert wird als die großen Kapitalerträge.“

Nur eine gute Briefkastenfirma
Auch für Giganten wie Amazon, Google oder Starbucks dürfe es keine
Steuerschlupflöcher und Tricks geben. „Die einzige Briefkastenfirma auf der Welt, die etwas taugt, ist die, die die Briefkästen herstellt“, sagte er. „Wir brauchen Verteilungsgerechtigkeit!“

Union kann nur noch mit der AfD
Natürlich kam an diesem Abend, dem Abend nach dem Rechtsschwenk auf dem Essener CDU-Parteitag, die doppelte Staatsbürgerschaft zur Sprache. „Wenn CDU/CSU sie abschaffen wollen, dann können sie doch nur noch mit der AfD zusammenarbeiten!“, sagte er und erntete donnernden Beifall. Er forderte die SPD auf, gegen den Rechtsruck mit Leidenschaft mobil zu machen: Nicht die Wähler, wohl aber die Funktionäre der AfD müssten hart attackiert werden. „Wir haben doch die viel besseren Argumente!“

In der anschließenden Diskussion ging es dann auch vor allem um die
Bundestagswahl 2017. Die Koalitionsfrage spielte dabei eine große Rolle. „Ich mag Sarah Wagenknecht auch nicht, aber noch mehr Angst habe ich davor, noch einmal in einer Großen Koalition zu landen", brachte ein SPD-Mitglied die Gefühlslage vieler Genossen auf den Punkt.

Gesangsverein statt Partei
Stegner selbst sagte, er sei ebenfalls kein Freund von Großen Koalitionen. Aber: „Ich bin dagegen, jetzt schon über Koalitionen zu reden. Bis zur Schließung der Wahllokale werbe ich nur für eine einzige Partei, und das ist die SPD."
Er betonte, es gebe im Wahlkampf zwei Gegner: „Ein Hauptgegner sind die Rechten, der andere ist die CDU. Von der müssen wir uns klar unterscheiden!" Er warnte vor zu viel Harmonie mit der Union: „Wer Harmonie will, gehört in einen Gesangsverein, nicht in die Politik."

Wer wird Kandidat?
Natürlich wollte die SPD-Basis auch wissen, wie Stegner zur Frage des
Kanzlerkandidaten steht. Er verteidigte den Fahrplan, den Kandidaten erst im Januar zu benennen. „Erst muss über unseren Kurs gesprochen werden, dann über den Kandidaten." Auf einen Namen wollte sich Stegner nicht festlegen. Allen, die wetten wollen, empfahl er aber dies: „Ich würde auf einen Kandidaten setzen, der aus einem großen, nördlich von NRW gelegenen Flächenstaat kommt." Die Frage des Kandidaten – der einzige Punkt, an dem Stegner nicht Klartext sprach. Aber zumindest auch keine trübe Suppe auftischte.

Zu den Fotos:
1) Klartext in Saerbeck: Ralf Stegner.
2) Ralf Stegner warb für mehr Gerechtigkeit.
3) Von rechts Ronald Baumann (Altenberge), Norbert Rikels (Laer), Jonas Dessouky (Altenberge), Ralf Stegner, Ulrike Reifig (Landtagskandidatin aus Altenberge), Jürgen Coße.