
Wie von Geisterhand macht der 40-Tonner Kilometer um Kilometer auf der Extra-Spur der Autobahn. Sein Fahrer sitzt nicht hinter dem Lenkrad. Er sitzt zuhause auf dem Sofa. Auf dem Laptop verfolgt er die Fahrt, korrigiert hin und wieder mit der Tastatur ein paar Einstellungen, damit der LKW unfallfrei ans Ziel kommt. So wie mit diesem Fahrzeug macht er es mit 20 weiteren Brummis – gleichzeitig. Home-Office in der Arbeitswelt von morgen. Arbeit 4.0., wie die Experten sagen.
Ferne Zukunft? Ganz und gar nicht. Die Zukunft ist viel näher als wir denken. Nicht nur für Brummi-Fahrer oder handwerkliche Tätigkeiten. Banker, Steuerberater, Journalisten, Anwälte – auch solche und viele andere „Kopf-Jobs“ lassen sich durch künstliche, technologische Intelligenz mehr oder minder neu gestalten. Kurz gesagt: „Die Digitalisierung kann auf praktisch jeden Beruf Auswirkungen haben“, betont Dr. Gunnar Schomaker.
Schomaker muss es wissen. Der Wissenschaftler und Informatiker am Software Innovation Campus Paderborn, ein Partner im Kompetenzzentrum „Digital in NRW“, befasst sich seit Jahren mit Innovationen durch Software und daher auch mit dem digitalen Wandel in der Arbeitswelt. Mit ihm wagte die SPD im Kreis jetzt den Blick in eine mögliche Zukunft. In Saerbeck diskutierten die Sozialdemokraten über Arbeit 4.0.
„Es ist ein spannendes Thema, aber kaum jemand weiß genau, was da auf uns zukommt. Welche Arbeitsplätze fallen weg, welche entstehen? Welche Rolle spielt Arbeit künftig überhaupt? Und was können wir als SPD tun, um den Prozess der Veränderung so zu gestalten, dass der Mensch nicht auf der Strecke bleibt?“, fragte Andreas Sievert, Kreis-Vorsitzender der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik (SGK), die zu dieser Veranstaltung eingeladen hatte.
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel
„Bei der Digitalisierung der Arbeitswelt geht es nicht mehr um die Frage, ob sie kommt. Sie ist schon in vollem Gange. Es geht insbesondere darum, wie sie in all ihren Ausprägungen wann durchschlägt“, sagte Schomaker. Alle Bereiche unseres Lebens seien betroffen: „Ganz simpel: Fast überall, wo Strom in Geräte fließt, ist heute Software drin. Und es geht immer weiter und weiter. Wie im Fußball: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, digitale Innovationen kennen kein Ende.“
Diese Veränderungen könnten das Arbeitsleben leichter machen: Weg von anstrengender Produktionstätigkeit hin zu Wartung- und Kontrollaufgaben, weg von Anwesenheitspflichten im Unternehmen hin zu mehr Heimarbeit, Flexibilität und persönlicher Freiheit. „Wir werden zukünftig ganz anders arbeiten können als wir das bisher kennen“, so der Wissenschaftler.
Nicht durch Regeln blockieren
Er sprach sich dafür aus etwas zu wagen, Digitalisierung auszuprobieren und nicht durch zuvor aufgestellte Regeln zu blockieren. Diesen Hinweis habe er auch Gewerkschaften gegeben. „Wir müssen Veränderung als etwas Normales begreifen und Fehler, die dabei gemacht werden, für weitere Verbesserungen und Innovationen nutzen. Erst wenn wir wissen, wie das mit Arbeit 4.0 läuft, sollten wir ein flexibles angemessenes Regelwerk einführen“, sagte Schomaker. Gewissermaßen Lernen durch Machen also, und nicht immer geht es sofort gut: Manchem Sozialdemokraten wurde da ein wenig mulmig, wie Wortbeiträge in der Diskussion zeigten.
Denn Schomaker skizzierte auch: Bei all dem technischen Wandel sind Erschütterungen vorprogrammiert. Wenn die Produktion voll automatisiert abläuft, wenn „Kollege Roboter“ und digitale Intelligenz immer mehr menschliche Arbeit übernehmen – was bleibt dann noch an Arbeit für den Mensch? „Es ist abzusehen, dass die Stundenzahl an tatsächlicher Arbeitskraft, die benötigt wird, sinken wird wenn keine neuen Arbeitsbereiche für Menschen geschaffen werden“, sagte Schomaker.
Nicht mehr genug für alle da
Und anders als in früheren technischen Revolutionen kann es bei der Digitalisierung sehr wohl sein, dass für einen wegfallenden kein neuer ähnlicher Arbeitsplatz entsteht. „Was ist, wenn aber nicht mehr genug Arbeit für alle übrigbleibt, wenn die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs immer mehr abnimmt, wenn Tarifverträge mit Arbeits- und Urlaubszeiten wegen der veränderten Arbeitsbedingungen ihre Bedeutung verlieren, dann hat das erhebliche Folgen“, sagte er.
Eine „arbeitssuchende Gesellschaft“
Zum Beispiel auf die Renten. Oder auf die Einkommensfrage: Fließen die Gewinne der Unternehmen in die zunehmend „arbeitssuchende Gesellschaft“ zurück, und wenn ja, wie? „Maschinen-Steuer?“, fragte ein Sozialdemokrat. Nicht zuletzt stellen sich für Schomaker grundsätzliche Fragen: „Was, wenn Arbeit nicht mehr der Nabel unserer Welt ist, dann werden auch die Werte unserer Gesellschaft auf den Kopf gestellt. Wir müssen sie dann neu definieren.“
Viele Aufgaben, viele Fragen, viele Konflikte, die auf die Politik zukommen. Die SPD will sich damit weiter intensiv beschäftigen und nach Antworten suchen. „Für uns geht es jetzt erst richtig los“, betonte Andreas Sievert nach der Reise in die Arbeitswelt der Zukunft – die eigentlich schon längst begonnen hat.
Foto: Andreas Sievert (r.), der Kreisvorsitzende der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft (SGK) trägt eine Holo Lense – eine Art High-Tech-Brille, die dem Betrachter mit Hilfe digitaler Technologie 3D-Bilder für verschiedenste Fertigungsprozesse vor Augen führt. Ein Blick in die Arbeit der Zukunft, den Dr. Gunnar Schomaker (l.) vorstellte und von dem auch Oliver Janke, stellvertretender SPD-Geschäftsführer, beeindruckt war.