Nahles will Frauen aus vielen Fallen befreien

Andrea Nahles und Jürgen Coße während der Diskussion in Emsdetten

Ministerin diskutiert in Emsdetten über SPD-Pläne zur besseren Stellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt

Emsdetten/Kreis Steinfurt.  Eigentlich ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt ausgezeichnet: Noch nie gab es seit der Wiedervereinigung mehr Erwerbstätige in Deutschland als jetzt.  Viele Jobs, viel Geld, alles gut – könnte man meinen. „Es ist aber leider nicht alles schön. Vor allem für Frauen nicht!“, sagte Andrea Nahles am Samstag in Emsdetten. In „Wefers Cafe“ diskutierte die Bundesministerin für Arbeit und Soziales mit Frauen aus dem ganzen Kreis Steinfurt über Ungerechtigkeiten und Nachteile, mit denen Frauen auf dem Arbeitsmarkt kämpfen müssen.

 „50 starke Frauen“, lautete das Motto dieser Diskussion, zu der Nahles vom SPD-Bundestagsabgeordneten Jürgen Coße eingeladen worden war. Coße, der bei der Bundestagswahl als Kandidat für die Emsschiene und das Tecklenburger Land das Direkt-Mandat gewinnen will, begrüßte sie unter großem Beifall als „die Ministerin, die in Deutschland den Mindestlohn eingeführt hat“.

Viele Frauen aus dem ganzen Kreis waren gekommen, um mit der Ministerin zu diskuteren

Nahles und Coße kennen sich seit mehr als 25 Jahren. „Aber nicht nur deshalb bin ich gerne gekommen“, sagte Nahles. Denn vor allem die Themen seien wichtig: Teilzeit-Falle, Lohn-Benachteiligung, Altersarmut, Vereinbarkeit von Familie und Beruf: „Die SPD kämpft bei der Wahl am 24. September auch darum, all das für Frauen besser und gerechter zu machen“, betonte sie.

Doppelt bestraft

Die Ministerin sagte, die Frauen -erwerbsquote läge in Deutschland derzeit bei 74 Prozent. Etwa 46 Prozent würden in Teilzeit arbeiten, meist in einem 20-Stunden-Job.  „Für einige Jahre, wenn die Kinder klein sind, mag das gehen. Doch wenn die Frauen dann wieder 30 oder mehr Stunden arbeiten wollen, weil es ja auch eine Frage des Geldes ist, stoßen sie auf Widerstand: Viele Arbeitgeber sagen, geht nicht, und wenn, dann nur zu schlechteren Bedingungen“,  berichtete Nahles. „Teilzeit wird so in Deutschland zur Falle für Frauen. Und sie werden doppelt bestraft: Erst kein Vollzeit-Job, dann auch keine Vollzeit-Rente und damit die Gefahr von Armut im Alter!“

Ein von ihr vorgelegter Gesetzesentwurf sehe vor, dass Firmen ab einer Größe von 15 Mitarbeitern nachprüfbar darlegen müssen, warum einer Frau die Rückkehr von Teil- in Vollzeit in dem Betrieb nicht ermöglicht werden kann. „Dagegen hat sich die CDU mit Händen und Füßen gewehrt, sie wollte das erst für Betriebe ab 200 Mitarbeitern. Das mache ich aber nicht mit, weil die meisten Firmen unter dieser Größe liegen und es daher der Mehrheit der Frauen gar nichts bringt!“, betonte Nahles. Sie hält deshalb an ihrem eigenen Gesetzesvorhaben fest. „Auch darum geht es am 24. September: Die SPD will die Frauen aus der Teilzeit-Falle herausführen!“

Auch das Thema Lohn-Ungerechtigkeit kam in Emsdetten zur Sprache. „Frauen bekommen nicht das, was sie verdienen!“, sagte Nahles unter großer Zustimmung. Noch immer lägen die Löhne im Schnitt 21 Prozent unter denen der Männer – in vergleichbaren Positionen.  „Das muss geändert werden, wir als SPD wollen, dass die Lohn- und Arbeitsmarktpolitik viel mehr durch die Brille von Frauen gesehen wird.“

SPD will Pakt für anständige Löhne

Insbesondere für soziale Berufe wie Alten- oder Krankenpflege wolle sie einen allgemeinverbindlichen „Tarifvertrag Soziales“ schaffen. „Denn hier geht der Wettbewerb der unterschiedlichen Träger voll zu Lasten der Beschäftigten, und das sind ganz überwiegend Frauen. Die SPD will deshalb einen Pakt für anständige Löhne, die zwölf Euro Mindestlohn reichen da nicht aus!“

Jeden Tag ein kleines Wunder

Frauen leisteten „jeden Tag ein kleines Wunder“, um Familie und Beruf zu vereinbaren – vor allem, wenn sie alleinerziehend seien, sprach die Ministerin vielen Diskussionsteilnehmerinnen aus der Seele.

„Ich weiß, wovon ich rede“, so Nahles, die eine sechs Jahre alte Tochter allein erzieht. „Ich habe zum Glück eine fitte Mutter, die mir hilft. Doch das haben nicht alle: Wir als SPD wollen daher in Ganztags-Kitas und Ganztagsschulen investieren.“ Bei diesen Investitionen, so das Ziel der SPD, müsse der Bund die Städte und Gemeinden mit deutlich mehr Geld unterstützen – bisher verweigere die CDU mit Finanzminister Schäuble das.

Nahles plädierte außerdem dafür, die Digitalisierung der Arbeitswelt auch für Familien- und frauenfreundlichere Arbeitszeiten zu nutzen. „Das eröffnet einige Chancen, wir müssen sie gerade auch im Interesse von uns Frauen ergreifen und gestalten.“

Familien- statt Ehegatten-Splitting

In der rund einstündigen Diskussion mit den Zuhörerinnen wurden weitere Probleme angesprochen. So wurde zum Beispiel nach der „zu hohen Steuerbelastung für Alleinziehende“ gefragt. Nahles sagte, die SPD spreche sich für ein „Familiensplitting“ bei der Steuer aus. Anders als beim jetzigen „Ehegatten-Splitting“ würde Kindererziehung dabei viel stärker berücksichtigt. „Das wird aber ein harter Kampf, es ist ein frauenpolitisches Dilemma, das wir lösen wollen“, so die Ministerin.

In der kurzweiligen und informativen Runde stellte die Ministerin auch das SPD-Vorhaben „Arbeitslosengeld Q“ vor. Mit ihm soll ein Recht auf Weiterbildung und ein längeres Arbeitslosengeld I ermöglicht werden soll. „Es darf doch nicht sein, dass jemand nach 25 Jahren im festen Job ruck-zuck in Hartz IV rutscht!“

Auf viel Anklang stieß auch das „Chancenkonto“, mit dem die SPD jedem Arbeitnehmer 20 000 Euro für Qualifizierung und Existenzgründung zur Verfügung stellen will. „Niemand kann heute davon ausgehen, dass er von der Ausbildung bis zur Rente in der gleichen Firma bleibt. Immer, wenn man neue Wege gehen muss, kann man auf dieses Konto zugreifen“, erläuterte Nahles.

Zum Ende der Veranstaltung überreichte Jürgen Coße als Gastgeber ein Geschenk mit münsterländischen Spezialitäten an die Ministerin. Sie bedankte sich herzlich – obwohl Coße es ihr sonst nicht leicht mache, wie sie sagte: „Bis vor kurzem war ich die Nummer 1 der SPD beim Wahlkampf an den Haustüren, niemand hat öfter an den Türen geklingelt als ich. Bis Jürgen kam“, so Nahles mit einem Schmunzeln. Und einer klaren Ansage zum Schluss: „Den könnt ihr wählen, das ist ein Guter!“