Im Oktober 2021 titelten die Westfälischen Nachrichten „Burnouts, Frustration, Verzweiflung: Krisenstimmung in der Landwirtschaft“. Neun Monate später hat sich die Situation verschlimmert. Ereignisse, mit denen niemand gerechnet und vor denen sich viele Landwirte gefürchtet haben, sind eingetreten. Der Krieg in der Ukraine, die Kauf-zurückhaltung der Bevölkerung, die Wasserknappheit und die Afrikanische Schweine-pest. So viele Themen wie noch nie gab es beim Treffen der SPD-Kreistagsfraktion mit den Vertretern des Kreisverbandes Steinfurt des Westfälisch-Lippischen Landwirt-schaftsverbandes (WLV) in Saerbeck zu besprechen. In dem dreistündigen Gespräch wurde schnell klar, dass der Berufsstand noch nie mit so viel Sorge in die Zukunft geschaut hat und von allen politischen Seiten Unterstützung benötigt. Entsprechend ging es nicht um Kritik, sondern um das Miteinander reden und diskutieren von Lösungsmöglichkeiten. Nachdem Peter Middendorf, Vorsitzender der SPD-Kreistagsfraktion, sich für die Einladung bedankt hatte, berichtete Albert Rohlmann, Vorsitzender des WLV-Kreisverbandes, eindrücklich über die Themen und Probleme, mit denen sich die mehr als 4.000 Bauernfamilien im Kreis Steinfurt aktuell auseinandersetzen müssen.
Es gehe vor allem die Angst vor der Afrikanischen Schweinepest (ASP) um, die Anfang Juli auf einem Hof im benachbarten Niedersachsen aufgetreten sei. Es werde alles darangesetzt, eine weitere Sprunginfektion zu verhindern. Die Eintragsquelle sei bis heute nicht bekannt und die Hoffnung bleibe, dass es sich um eine Punktinfektion handelt, die sich nicht weiterverbreitet. „Wir reden über Betriebe, die schon am Boden liegen“, brachte Carsten Spieker, stellvertretender Kreisverbandsvorsitzender und Sauenhalter aus Lienen, die dramatische Situation auf den Punkt.
Finanzielle Hilfe könne es im Seuchenfall von der Tierseuchenkasse geben. Dazu sei allerdings ein lückenloser Nachweis von Maßnahmen notwendig. „In den Schweine-betrieben wird täglich Geld verbrannt. Die Kosten steigen stärker als die Erlöse“, betonte Rohlmann. Besser sei die Situation bei den Landwirten, die sich in den letzten Jahren als Energiewirte ein neues Standbein mit Windkraft, Biogas oder Photovoltaik aufgebaut haben.
Die Frage, ob wegen der Umweltschutzauflagen niederländische Verhältnisse auch in Deutschland vorstellbar seien, wurde von den WLV-Vertretern eher verneint. Der Hintergrund der Proteste, die Umsetzung der europäischen Natura 2000-Vorschriften und der drastische Versuch, die doppelt so hohe Schweinedichte im Vergleich zu Deutsch-land mit Maßnahmen bis hin zur Enteignung einzudämmen, gäbe es in Deutschland nicht. Mit Solidaritätskundgebungen müsse allerdings gerechnet werden. Auch in Deutschland habe das Thema Umweltschutz immer mehr an Bedeutung gewonnen.
Angesichts der Düngerpreise, die sich seit dem 24. Februar verdoppelt bis vervierfacht hätten, läge es allerdings im Eigeninteresse der Landwirte, weniger zu düngen, betonte Rohlmann. Das gelte auch für den Energieverbrauch. Besonders in Molkereien, Schlachtereien und bei der Futtermittelproduktion werde eine große Menge Gas be-nötigt. Aktuell versuche jeder Betrieb, alternative Szenarien durchzuspielen. Auch sei davon auszugehen, dass die Lebensmittelpreise weiter steigen werden. Die Produktionskosten in der Landwirtschaft seien explodiert. Trotzdem versuche der Lebensmitteleinzelhandel die Ankaufspreise zu drücken. „Wir brauchen eine Vorgabe, wie viel Marge der Lebensmitteleinzelhandel nehmen darf. Es könnte uns mehr bringen und die Konsumenten weniger kosten, wenn der Lebensmitteleinzelhandel nicht so gierig wäre. Wir haben keinerlei Verständnis für die aktuellen Rabattaktionen“, so Rohlmann.
Direktvermarktung helfe einigen Bauernfamilien, ihre Situation zu verbessern. „Aber oft können Verkaufsstände nicht da realisiert werden, wo sie sinnvoll wären“, kritisierte Spieker und berichtete über Probleme mit den Baubehörden. Es mangele an einer Ermöglichungspolitik, die kreativ nach Lösungen suche und Ideen auch einmal vor Ort erkunde. Die VerbraucherInnen müssten sich die Frage stellen, wie viel sie bereit seien, für Qualität zu bezahlen. Der Einbruch beim Verkauf von Erdbeeren und Spargel habe allerdings gezeigt, dass das Einkaufsverhalten bei Lebensmitteln aktuell von großer Zurückhaltung geprägt sei. Wie beim Fleisch verzichteten die Menschen auch bei besonderen Lebensmitteln.
In der Diskussion um die Zukunft der Landwirtschaft wurden auch noch einmal die Themen Agri-PV und Windkraft-Anlagen angesprochen. Von Seiten der Landwirte sei es wichtig, dass die originäre Nutzung nicht beeinträchtigt werde, so Rohlmann. Bevor Ackerflächen verloren gingen, sollten zunächst Dachflächen ausgerüstet werden. Vorstellbar sei die Aufstellung von Bebauungsplänen und ein Ranking von Flächen, die ohnehin zur Verfügung stehen.
Franz-Georg Koers, Geschäftsführer des WLV-Kreisverbandes, unterstrich die Bedeutung der Kommunen in diesem Zusammenhang. „Die Städte und Gemeinden sind aufgefordert, Prioritäten zu setzen. Die Wertschöpfung der Anlagen muss bei uns bleiben.“ Die Erstellung von Windkraftanlagen bringe mehr als Agri-PV, erklärte er.
Martina Kamphues, Sprecherin der SPD-Kreistagsfraktion im Umweltausschuss, thematisierte abschließend auch die Bedeutung der Landschaftspläne. „Wir haben die Landschaftspläne beantragt. Nun müssen wir miteinander reden“, erklärte sie. Die Vertreter der Landwirte ließen keinen Zweifel an ihrer Einschätzung, dass es durch die Maßnahme zu einer Wertminderung ihrer Flächen komme. „Es gibt auch andere Wege, um zum Ziel zu kommen, beispielsweise im Vertragsnaturschutz“, betonte Franz-Georg Koers. „Ordnungsrecht sollte nur die Ultima Ratio sein.“ Alfred Rohlmann hält Forschung und Beratung für den richtigen Weg. „Landschaftspläne müssen aufgestellt werden. Fragt sich nur, wie“, zeigte er sich kompromissbereit. Es bestand Einigkeit, dass man die konstruktiven Gespräche fortsetzen wolle.
SPD-Kreistagsfraktion besucht WLV
